Warum müssen wir Taqlid (einem Gelehrten folgen) machen?

Wenn ein Mensch geboren wird, hat er kein Wissen über diese Welt. Er hat keine andere Möglichkeit, als von den Erfahrungen seiner Mitmenschen zu lernen. Da das Leben ein ständiges auf und ab ist, benötigt jeder Mensch Hilfe. Das Leben basiert auf Wissen und Handlung. Daher beginnt unser eigenständiges Leben erst dann, wenn wir fähig sind selbständig zu denken. Vor dieser Phase orientieren wir uns an unseren Eltern. Wir lernen zu gehen, sprechen, Fahrrad fahren und vieles mehr. Unsere geistige Unabhängigkeit erfolgt in kleinen Schritten. Auch bei religiösen Fragen sind wir auf das Wissen kompetenter Gelehrten angewiesen.

Das Nachahmen einer religiösen Autorität wird Taqlid (Nachahmung) genannt. Es gibt verschiedene Arten Taqlid zu machen, doch nur eine Art ist richtig:

  1. Ein ignoranter Mensch folgt einem Ignoranten – Es ist glasklar, dass diese Art von Taqlid nur Unglück mit sich bringt. In unseren Gesellschaften gibt es viele Menschen, die die Ethik, Kleidung und den Lebensstil bestimmter Vorbilder aus Film und Musik imitieren. Sie gehen sogar soweit, ihre Kinder nach ihren Idolen zu benennen. Der Quran hat vor dieser Art von Taqlid eindeutig gewarnt: 43:22.
  2. Ein Gelehrter (Aalim) folgt einem Ignoranten – Diese Art von Taqlid ist noch schlimmer, als die Vorherige. Von einem Gelehrten wird erwartet, dass er nach seinem Wissen handelt und seinen Verantwortungen nachgeht.
  3. Ein Gelehrter folgt einem Gelehrten – Ein Rechtsgelehrter (mujtahid) ist ein Gelehrter (faqih), der zur selbständigen Rechtsfindung (ijtihad) und damit zur Anwendung des islamischen Rechts (scharia) auf aktuelle Situationen befähigt ist. Ein Gelehrter der die Stufe der selbstständigen Rechtsfindung (ijtihad) erlangt hat, sollte keinem anderen Gelehrten nachahmen, sondern nach seinem eigenen Wissen handeln. Taqlid (Nachahmung ist für diese Person verboten. Der Grund für diese Regelung ist die selbständige Urteilsverkündung anhand der islamischen Quellen. Ein Rechtsgelehrter muss seine Fatwa selbstständig herleiten und gegenüber anderen Gelehrten argumentativ verteidigen können.
  4. Eine ignorante Person folgt einem Gelehrten – Diese Art von Taqlid (Nachahmung) entspricht der Natur des Menschen. Wenn wir medizinischen Rat benötigen, wenden wir uns an den Doktor. Unser Verstand sagt uns, dass wir uns bei Problemen an kompetente Menschen mit Fachwissen wenden müssen. Dieses Prinzip gilt auch bei der Praktizierung des Islams. Wir sind auf die religiösen Edikte (fatawa) der Rechtsgelehrten, die durch jahrelanges Studium die Stufe der selbstständigen Rechtsfindung (ijtihad) erlangt haben, angewiesen. Nur sie sind in der Lage aus den religiösen Quellen ein Rechtsurteil (fatwa) abzuleiten. Die Rechtsgelehrten (mujtahideen) wurden vom Propheten (ص) mit dieser Autorität ausgestattet, um die Menschen auf allen religiösen Ebenen recht zu leiten. Das Tozihul Masail (Buch über praktische Abhandlungen) ist das Lebenswerk eines jeden großen Gelehrten. Er kann so ein Buch nur nach jahrzehntelangem Studium verfassen. Ein praktizierender Muslim ist entweder selbst derart ausgebildet, dass er hinsichtlich der Feinheiten der Zweige der Religion (furu’ad-din) selbständige Rechtsfindung (ijtihad) ausüben kann, oder aber er schließt sich einem geeigneten Vorbild der Nachahmung (marja-ul-taqlid) seiner Wahl an und ahmt ihn nach, ist also ein Nachahmer (muqallid). Die Nachahmung ist beschränkt auf die Zweige der Religion (furu’ad-din). Den Stamm der Religion (usul-ad-din) bzw. die unabdingbaren Glaubensgrundlagen muss jeder selbst verinnerlichen und darf diese nicht nachahmen.

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übersetzt und ergänzt von Hessam K.
Anmerkung: Dieser Text orientiert sich inhaltlich stark an das Buch „Religious Questions Answered: Logic for Islamic Rules“ von Ayatullah Makarem Shirazi und Ayatullah Jafar Subhani. Es handelt sich hierbei jedoch um keine reine Übersetzung!
Quellenangaben: eslam.de; „Religious Questions Answered” von Ayatullah Makarem Shirazi und Ayatullah Jafar Subhani

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