Dr. Ali Schariati
Doktor Schariati ist einer der bewährten Kämpfer im Verlauf der islamischen Revolution Irans und gehört zu den bedeutenden Denkern der heutigen Welt. Ein Mensch, der sein ganzes Dasein in allen Abschnitten seines Lebens in voller Aufrichtigkeit der bedingungslosen Anerkennung des Rechts und der Durchführung der Gerechtigkeit gewidmet hat.
Doktor Ali Schariati, der Blutzeuge und Erzieher in seiner Gesellschaft, erblickte am 23. November 1933 in dem Dorf Masinan der Provinz Choransan im Nordosten Irans das Licht der Welt. Sein erster Lehrer war sein Vater, Professor Mohammad Taghi Schariati, der zu den bedeutenden Gelehrten Chorasans zählt. Schariati dazu: „Mein Vater bestimmte als erster die Dimensionen meines jungen Geistes, er lehrte mich als erster, meinen Verstand zu gebrauchen und die Kunst zu verstehen, ein Mensch zu sein.“
Schariati wuchs umgeben von Elend und in Berührung mit Unterdrückten und Ausgebeuteten unter schweren Lebensbedingungen auf. Die Ungerechtigkeit und Unterdrückung der verdorbenen Staatsordnung fühlte er sehr wohl, Schmerz und Leid überkamen ihn, bis in sein Inneres entbrannte er durch Ungerechtigkeit und Unterdrückung, verabscheute er die Gewalttäter, Geldgierigen und Betrüger. Auf dem Gymnasium wurde Schariati mit der neuen islamischen Bewegung über die „Vereinigung zur Verbreitung der islamischen Werte“, deren Gründer sein Vater war, bekannt und erwies sich als ihr tätigstes Mitglied.
Seine Betätigung in der Vereinigung verschaffte ihm die Bekanntschaft vieler junger Männer und Studenten. Zu eben dieser Zeit begann er, wissenschaftliche und philosophische Aufsätze zu schreiben. Schariati tat im Verlauf des Kampfes, Doktor Mosadeghs gegen den Schah, mit der Herausgabe der Veröffentlichung „Mosaddeghs Weg“ seinen eigenen Protest kund. Zu dieser Zeit war er Student in Maschhad, schloss sich der Reihe der Kämpfer der „Nationalen Widerstandsbewegung“ an und wurde zu einem der tätigsten Mitglieder dieser Bewegung. Die Fortsetzung dieser Tätigkeit hatte seine und seines Vaters Verhaftung zur Folge, ihre Überführung nach Teheran, Folter und Gefängnis. Schariati ertrug alle Plagen des Gefängnisses mit der Kraft des Glaubens, der Geduld, des Vertrauens und mit einem eisernen Willen zur Fortführung des Kampfes gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Er wurde aus dem Gefängnis entlassen und brach, nachdem er seine Studien für die Lizenz beendet hatte, an der Universität der Beste seines Jahrganges geworden war und ein Stipendium erhalten hatte, zur Fortsetzung seiner Studien im Jahre 1960 nach Frankreich auf. Vor seiner Abreise heiratete er Frau Puran Resawi. Sein Fortgehen aus Iran fiel zusammen mit einer weit gespannten Vorbereitung der „Nationalen Widerstandsbewegung“, eine neue Protestwelle hervorzurufen, um die Bewegung auf eine höhere Ebene zu heben. Die Fortsetzung dieser Tätigkeit führte zur Gründung der „zweiten Nationalen Front “ und später zur „Freiheitsbewegung“. Schariati ließ auch außerhalb des Landes keinen Augenblick von seinem Kampf ab, er gehörte zu denjenigen, die beim Ausbau der „zweiten Nationalen Front in Europa “ eine bedeutende Rolle spielten. Im Jahre 1961 fand in Wiesbaden in der Bundesrepublik Deutschland der erste Kongress der „Zweiten Nationalen Front in Europa“ statt, auf dem man den Beschluss fasste, eine Zeitung herauszugeben, deren Verantwortung Schariati übernahm. Diese Zeitung trug den Titel „Freies Iran“.
Schariati, der zu dieser Zeit eng mit der algerischen Freiheitsfront und der Zeitung „Al-Modjahed“ zusammenarbeitete, hoffte, das „Freies Iran“ dieselbe Rolle spielen könnte wie „Al-Modjahed“. Schariati schrieb seine eigenen analytischen Artikel unter dem Pseudonym „Fackel“. Sein Schreiben und seine Fähigkeiten stellte er in den Dienst der Befreiung des algerischen Volkes von der Kolonisation zur Zeit der algerischen Bewegung und ebendiese Bestätigung hatte zur Folge, dass er mit der französischen Polizei zusammenstieß.
Schariati schloss während seines Aufenthaltes in Frankreich Bekanntschaft mit Schriftstellern wie Jean Paul Sarte. Er studierte Gesellschaftswissenschaft und brach, nachdem er an der Universität Sorbonne den Doktorgrad in Gesellschaftswissenschaft und islamischer Geschichte erworben hatte, in sein Vaterland auf.
„I have no religion, but if I were to choose one, it would be that of Shariati’s.“ Jean-Paul Sartre
An der Grenze jedoch wurde er verhaftet und ins Gefängnis geschafft, aus dem man ihn nach sechs Monaten durch den Einspruch bedeutender Französischer Intellektueller wieder freiließ. Nach seiner Entlassung schickte das herrschende Regime ihn, der den Doktorgrad besaß, zum Unterrichten in einer Dorfschule fort, später endlich ließ es ihn zur Lehrtätigkeit an der Universität Maschhad zu. Seit jener Zeit begann Schariati, sich wirksam mit der Zusammenstellung und Erweiterung seiner islamischen Anschauungen zu beschäftigen.
Als später in Teheran durch einige strenggläubige Menschen ein islamisches Zentrum zur Verbreitung islamischer Gedanken mit dem Namen „Hoseinije Erschad“ entstand, wurde auch Schariati eingeladen, bei der Aufstellung und Durchführung des Programms mitzuhelfen. Auf diese Einladung hin begann er eine Vortragsreihe mit dem Titel „Islamwissenschaft“ und „Religionsgeschichte“. Die versteckten Anspielungen auf politische und gesellschaftliche Vorfälle in mancher seiner Vorträge machte er so weit wie möglich zum Gegenstand der Diskussion.
Das Schah-Regime, das es für gefährlich hielt, wenn ein solches Zentrum weiter bestünde und Schariati seine Tätigkeit fortsetzte, legte viele Hindernisse in den Weg und ließ zuletzt die Hoseinije Erschad schließen. Schariati musste fliehen. Das Regime warf seinen hoch betagten Vater ins Gefängnis. Um seinen Vater zu befreien, stellte sich Schariati der Geheimpolizei des Schahs (SAVAK). Man steckte ihn ins Gefängnis und folterte ihn 18 Monate lang, aber er widerstand und gab ihnen – nach seinen eigenen Worten- nicht die Genugtuung, auch nur ein „ach!“ zu vernehmen. Danach wurden die Bücher Schariatis nicht nur verboten, schon auf das Lesen stand Gefängnisstrafe. Aber diese Maßnahmen hatten die gegenteilige Folge und riefen die Verbreitung der Schriften und Gedanken Schariatis hervor. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, die der Erfolg des Protestes von Intellektuellen aus Europa und Asien war, verstärkte Schariati seinen Widerstand und Kampf gegen das Regime. Die SAVAK, die keinen anderen Ausweg sah, beabsichtigte nun, Ruf und Persönlichkeit Schariatis zu terrorisieren, sie veröffentlichte Aufsätze und Schriften von ihm in Zeitungen, die dem Regime verbunden waren und propagierte, er selber handelte auf diese Weise.
Schariati stand während seiner „Freiheit“ völlig unter Kontrolle, man gab ihm keine Erlaubnis und Möglichkeit, seine öffentliche Betätigung fortzusetzen. So sehr engte man seine Umgebung ein, dass er schließlich den Plan zu einer Emigration aus Iran entwarf. Anfang Mai 1977 schrieb er seine letzten Briefe an seinen Vater und verabschiedete sich von Frau und Kindern. Am 16. Mai desselben Jahres verließ er Iran, um einen neuen Weg in seiner Bestimmung zur Fortführung von Tätigkeit und Kampf einzuschlagen. Seine Emigration währte jedoch nicht länger als einen Monat, am 19 Juni 1977 gab Schariati auf noch ungeklärte Weise sein Leben für den Glauben dahin und begann die ewige Emigration in Richtung des Lichtes.
Auszug aus dem Buch „Die vier Gefängnisse des Menschen“
Wenn Sie die Geschichte des Menschen lesen, die Geschichte seiner Dummheiten, ist sie immer umfangreicher und interessanter als die Geschichte seiner vernünftigen Taten. Heute verhält es sich genauso. Diese Art von Mensch ist immer statisch; die Beschreibung passt auf ihn heute noch wie auf die der Affen vor 50 000 Jahren. Seine Waffen, Kleidung und Nahrung haben sich geändert. Seine Eigenschaften sind die gleichen geblieben. Dschingis Khan, der über ein primitives und unzivilisiertes Volk herrschte, unterschied sich nicht von den großen Kaisern, die in der Vergangenheit über große Zivilisationen herrschten; auch die heutigen Führer, die die großen Wirtschaftssysteme und starken Regime der heutigen Zivilisation leiten, unterscheiden sich nicht wesentlich von ihnen. Der Unterschied besteht vielleicht darin, daß die früheren diese Ausrüstung nicht besaßen und die heutige Bildung nicht genossen hatten. Die früheren Herrscher gaben offen zu, daß sie gekommen waren, um zu töten, aber die heutigen zivilisierten Angreifer töten und erklären, daß sie gekommen sind, um den Frieden herzustellen. Nur die Sprache, das Lügen und die Rechtfertigung haben sich entwickelt. Spaltung, Lüge, Mord, Rachegelüste und Ausplünderung sind so geblieben wie sie waren oder haben sich verstärkt. Der Mensch in dieser Bedeutung ist ein statisches Wesen, das wir als Menschengestalt bezeichnen, aber der Mensch im Sinne jener höheren Werte, der zu werden wir uns bemühen, besitzt höhere und ideale Eigenschaften, die anzustreben sind; ein Wesen, das noch nicht ist, aber sein soll. Das Ziel ist also das Menschwerden. Das Menschwerden ist wiederum kein statischer Zustand, der Mensch ist ständig im Werden, in einem unendlichen Entwicklungsprozeß. Inna li illahi wa inna ilaihi raği’u’n: „Wir gehören Gott und zu ihm kehren wir zurück“ (Koranl. Hierin ist eine humanistische Philosophie enthalten. „ilaihi raği’un“ bedeutet, daß der Mensch zu Gott zurückkehrt. Der Ausdruck „ilaihi: zu ihm“ ist für diese Diskussion relevant. Im Gegensatz zu den Mystikern, die behaupten, daß der Mensch Gott erreicht (wenn Hallac meint, daß er Gott erreicht hat, bestimmt er damit einen konstanten Platz für Gott, den der Mensch erreicht und sich somit bei Gott aufhält), bedeutet „ilaihi“ „zu ihm hin“ aber nicht „in ihm“. Wer ist „er“? Gott. Was bedeutet „zu Gott hin“? Gott hat keinen bestimmten Aufenthaltsort, so daß, wenn der Mensch ihn erreicht, er seine Bewegung beenden und sich dort aufhalten könnte. Gott ist unendlich und absolut. So gesehen bekommt die Bewegung des Menschen zu Gott hin eine andere Bedeutung. Sie ist unendlich, ständig und unaufhörlich im Entwicklungsprozess zur unendlichen Erhabenheit. Das ist die Bedeutung des Werdens, des Menschwerdens.
Auszug aus dem Buch „Ja, so war es, Bruder“
Direkten Weges war ich zum Besuch der Wunderwerke, der Pyramiden, eines der sieben Weltwunder, geeilt und war glücklich, das ich einen solchen Erfolg erreicht hatte. Ich folgte dem Führer und war ganz Ohr für seine Erklärungen über die Form der Pyramidenbauten, ihre Geschichte, ihre Herrlichkeiten, ihre Schönheiten und ihre Geheimnisse.
Sklaven haben achthundert Millionen große Felsblöcke aus Assuan, eben dem Ort, wo man den berühmten Damm von Assuan gebaut hat, nach Kairo geschafft. Neun Pyramiden haben sie gebaut, von denen sechs klein sind und drei andere groß und weltberühmt.
Achthundert Millionen Steine haben sie aus einer Entfernung von 980 Kilometern nach Kairo geschafft, übereinander geschichtet und einen Bau errichtet, um die mumifizierten Leiche des Pharao und der Königin unter ihm zu begraben.
Die eigentliche Grabkammer bildet einen großen Raum und besteht aus nur fünf massiven Marmorblöcken, von denen vier große Blöcke die Mauer und der fünfte Block die Decke der Kammer ergeben. Um eine Vorstellung von der Dicke und dem Gewicht des Steines, der die Decke bildet, zu bekommen, genügt es uns zu wissen, das er aus Marmor besteht, das man einige Millionen gewaltige Steinblöcke bis zum Gipfel der Pyramide auf eben diese Decke geschichtet hat und das seit fünftausend Jahren diese Decke dieses Gewicht trägt.
Durch all diese Dinge, solch gewaltige Meisterwerke, war ich von Bewunderung ergriffen, bis ich abseits, in einer Entfernung von drei-vierhundert Metern Steinblöcke erblickte, die hier und da übereinander gehäuft waren.
Ich fragte meinen Führer: „Was ist das?“
Er sagte: „Nichts Besonderes, Steinhaufen“.
Ich sagte: „Diese hier sind auch Steinhaufen und nichts Besonderes. Ich möchte wissen was jene da sind.“
Er sagte: „Das sind Höhlen, die kilometerweit in die Erde gegraben worden sind.“
Ich fragte: „Warum?“
Er sagte: „Dreißigtausend Sklaven haben dreißig Jahre lang solch gewaltigen Steinblöcke aus der Entfernung von tausend Kilometern auf den Schultern herangeschleppt. Scharenweise kamen sie unter dieser schweren Last um, und täglich gab man dem Pharao Meldung vom Tode hunderter Leute. Aber das System der Sklaverei, das nach den Worten von Schwarter bewirkte, das sogar Hebel und Rad nicht erfunden wurden, weil das Vorhandensein von billigen Sklaven deren Notwendigkeit überflüssig machte, warf ohne das geringste Mitleid die zermalmten Körper der Sklaven in Gruben und zog andere Sklaven zum Steinescheepen heran“.
Ich sagte: „Ich will zu jenen tausender von zermalmten, zu Staub gewordenen Sklaven gehen.“
Er sagte: „Dort gibt es nichts Sehenswertes, es sind aufeinander gehäufte Steine, Höhlen, Gräber von tausenden von Sklaven, die man auf Befehl des Pharao in der Nähe seines Grabens in die Erde gescharrt hat, damit sie ihn ebenso, wie sie in ihrem Leben Wächter gewesen waren und ihre Körper in seinen Dienst gestellt hatten, auch im Tode bewachen und auch ihre Seelen in seinem Dienst stellen sollten.“
Ich sagte: „Lass mich nun los, denn ich brauche deine Begleitung nicht, ich geh alleine.“
Und ich ging, setzte mich an den Rand der Höhlen und erkannte, welch nahe Verwandtschaftsbeziehung zwischen mir und den in diesen Gräbern Ruhenden besteht. Wir gehören beide den gleichen Stamm an.
Es stimmt wohl, das ich aus dem einen Land gekommen bin und sie aus anderen Ländern. Ich gehöre der einen Rasse an und sie einer anderen. Aber dies sind schändliche Einstellungen, um die Menschen zu trennen, die Verwandten einander zu entfremden und die einander Fremden zu Verwandten zu machen.
Ich jedoch gehöre, jenseits all dieser Einteilung, zu jener Nachkommenschaft und Rasse, bin ihr Verwandter und Leidensgenossen. Und als ich erneut die gewaltigen Pyramiden betrachtete, erkannte ich, wie fremd ich diese Größe, Pracht und Herrlichkeit bin. Oder nein, in welchem Masse ich diese Größe Kunst und Kultur hasse. Denn alle gewaltigen Werke, die im Laufe der Geschichte die Kulturen hervorgebracht haben, sind auf die Knochen meiner Vorfahren errichtet worden. Die Chinesische Mauer haben meine versklavten Väter in die Höhe gezogen und jeder, der das Gewicht der gewaltigen Steine nicht aushalten konnte und zusammenbrach, wurde eingemauert. Die Chinesische Mauer und all die mauern und Bauten und gewaltigen Werke der menschlichen Kultur kamen auf diese Weise zustande. Stein für Stein auf Fleisch und Blut meiner Vorväter.
Ich erkannte: Kultur heißt Schmähung, heißt Abscheu, heißt Hass, heißt Spuren tausendjähriger Tyrannei auf Nacken und Rücken meiner Vorväter. Ich setzte mich inmitten der Gräbermassen nieder und sah: es ist so, als seien alle jene, die im Inneren der Gräber ruhen, meine Brüder.
Ich kehrte in meine Unterkunft zurück und schrieb einem Bruder aus der zahllosen Gruppe der Sklaven einen Brief: ich schilderte ihm, wie es uns im Laufe von fünftausend Jahren ergangen war – fünftausend Jahre, die er nicht erlebt hat, aber Sklaventum und Sklaven in seinen verschiedenen Formen hat es immer gegeben.
Ich setzte mich nieder und schrieb an ihn: […]
Seine Bücher:
- „Ja, so war es, Bruder“
- „Die vier Gefängnisse des Menschen“
- „Zivilisation und Modernismus“
- Martyrdom: Arise and Bear Witness
- Red Shi’ism
- On the Plight of the Oppressed People
- Fatima is Fatima
- After Shahadat
- And Once again Abu Dharr
- Hajj (The Pilgrimage )