Begriffswirrwarr
– Aus dem Buch „Wir sind „fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland mit freundlicher Genehmigung des Betzel-Verlags
Im Zusammenhang mit praktizierenden Muslimen kursieren derzeit so viele unterschiedliche Begriffe in der Medienlandschaft, dass man selbst als informierter Leser etwas den Überblick verlieren kann. Da gibt es Extremisten, Fundamentalisten, Islamisten, Terroristen und jedes Mitglied der „isten“ ist ein Vertreter eines „ismus“, und das Schubladendenken wird anscheinend hinreichend durch unterschiedlichste Kombination der Begriffe versorgt. Darüber hinaus gibt es noch Mudschahedin, Gotteskrieger, Freiheitskämpfer und vieles andere mehr. Da der Titel dieses Buches auf derartigen Begriffen aufbaut, versuchen wir im Folgenden zumindest an einigen Beispielen eine kurze Begriffserklärung. Wer in diesem Kapitel und in der folgenden Erläuterung eine gehörige Portion Zynismus entdecken wird, möge es uns verzeihen. Die hier wiedergegebenen Schubladen-Denksystem-Begriffe führen in keiner Weise zum Abbau von Missverständnissen, aber das haben diejenigen, die derartige Begriffe so gerne verwenden, wohl auch gar nicht vor.
Am einfachsten sollte die Erklärung des Begriffes „Terrorist“ sein, denn es ist schließlich im deutschen Strafgesetzbuch als „Mitglied einer terroristischen Vereinigung“ klar umrissen. Daher gilt als Terrorist, wer entsprechend nach einem rechtsstaatlichen Verfahren rechtskräftig verurteilt ist, und vorher ist er schlimmstenfalls ein „mutmaßlicher Terrorist“. Wer aber jetzt annimmt, dass nur ein deutscher Richter diese Straftat feststellen darf, der hat sich getäuscht. Denn die EU-Außenminister veröffentlichen regelmäßig eine Liste ausländischer terroristischer Organisationen, aber auch Einzelpersonen, die nie vor einem Gericht gestanden haben; eine besondere Eigenart demokratischer Gewaltenteilung. Allerdings gibt es auch noch eine Ausnahme der Ausnahme, denn der deutsche Innenminister erklärt auch ausländische Organisationen zu Terrororganisationen, die gar nicht auf der EU-Liste stehen, selbst wenn deren Mitglieder im demokratisch gewählten Parlament des entsprechenden Landes sitzen, wie im Libanon. So weit ist es allerdings zumindest noch überschaubar.
Etwas komplizierter wird es, wenn man den Zeitfaktor ins Spiel bringt. Denn ein Terrorist muss offensichtlich nicht immer Terrorist bleiben. Ehemalige von den Briten steckbrieflich gesuchte Terroristen zionistischer Terrororganisationen, die englische Staatsbürger in die Luft gesprengt hatten, wurden mit der Zeit zu geehrten Staatsgästen, nachdem sie die Briten verjagt, ein komplettes Land enteignet, das palästinensische Volk brutalst vertrieben und sich sesshaft gemacht hatten sowie zu israelischen Politikern wurden, wie z.B. der ehemalige Ministerpräsident Shamir.
Aber auch bei Befreiungsarmeen, die nicht fremde Völker vertrieben hatten, sondern das eigene besetzte Gebiet verteidigten, hing ihr Status vom jeweiligen Erfolg ab. Algerische „Terroristen“ bzw. Widerstandskämpfer gegen die französische Besatzung wurden als Freiheitskämpfer bezeichnet, nachdem sie die Franzosen in einem opferreichen Widerstandskampf vertrieben hatten. Ähnlich erging es libyschen „Terroristen“ bzw. Freiheitskämpfern gegenüber Italien und selbst deutschen Freiheitskämpfern gegen das Nazi-Regime, auch wenn sie Bomben gelegt hatten und Zivilisten betroffen waren. Zwar hatten letztgenannte nicht selbst gewonnen, aber dafür andere für sie. Daher ist davon auszugehen, dass ein Merkmal des „Terroristen“ darin besteht, dass er verliert. Gewinnt er wider Erwarten, ändert sich sein Status schlagartig. Bedeutet solch eine merkwürdige Logik letztendlich nicht, dass Terroristen (den echten und unechten) empfohlen werden müsste, dass sie lieber gewinnen sollten, weil sie dann keine „Terroristen“ mehr wären?
Ein weiteres Merkmal eines Terroristen besteht darin, dass seine Aktivitäten gegen den „Westen“ gerichtet sind. So galten die Mudschahedin als Afghanistans Freiheitskämpfer, so lange sie auf Seiten der USA gegen die damalige UDSSR gekämpft haben, aber als die gleichen Kämpfer die gleichen Waffen gegen westliche Besatzer richteten, wurden sie zu Terroristen umbenannt.
Während – wie wir gezeigt haben – ein Terrorist zum Staatsgast und Staatspräsidenten aufsteigen kann, ist auch der umgekehrte Weg auf der Karriereleiter möglich. So lange der irakische Diktator Saddam in ergebener Treue ausschließlich die muslimische Welt terrorisiert hat, galt er als „Präsident“ und guter Freund, aber nachdem er scheinbar nicht mehr ganz so treu war, wurde er zum Terroristen und Ziel des „Kampfes gegen Terror.“
Allerdings sollte letzte Bemerkung nicht zu falschen Schlüssen führen. Denn nicht jeder, der Terror ausübt, ist ein Terrorist. Übt z.B. ein Staat 50 Jahre lang brutalsten Terror aus, werden die Verantwortlichen noch lange nicht „Terroristen“ genannt. Und wenn ein Staat im Namen von „Freiheit und Demokratie“ einen Putsch nach dem anderen in der Welt anzettelt und mit der geballten Macht seiner Geheimdienste zahllose Massenmorde verübt, die übelsten Despoten unseres Jahrhunderts an die Macht hievt und mit mörderischer Gewalt dort hält, dann gilt er sogar als Verteidiger der Menschenrechte gegen Terrorismus.
Etwas komplizierter wird die Begriffserklärung bei „Islamist“. Damit soll wohl jemand gemeint sein, der den Islam nicht nur „religiös“ (was immer das ist) versteht sondern auch politisch. Allerdings gilt diese Einteilung und Bezeichnung nur für Muslime. Denn wenn ein Christ christliche Elemente in seine Politik einbringen will, dann gilt er noch lange nicht als Christist, selbst dann nicht, wenn er zum Kreuzzug aufruft und sich bei jeder Schandtat auf Gott beruft, denn das würde eine Begriffskollision mit dem „Gotteskrieger“ verursachen, der ja auch nur ausschließlich Muslim sein kann. Wenn sich nach dieser Definition dann die allermeisten Muslime der Welt als „Islamisten“ fühlen, da die moralischen Lebensregeln einer Religion nicht für das Jenseits, sondern für das Diesseits gelten, ist es zumindest ein Beweis für die angebliche Bedrohung der Zivilisation durch den Islam. Nebenbei sei erwähnt, dass „Zivilisation“ die Definition von dessen ist, das sich gegen den Islamismus stellt, die ja per Nebendefinition Gegner der Zivilisation sind.
Ein „Islamist“ ist grundsätzlich auch ein Extremist, da er ja alles so „extrem“ beurteilt. So regt sich ein „Islamist“ z.B. über eine Weltpolitik auf, in der im Namen von „Freiheit und Demokratie“ die schlimmsten Verbrechen der Zeit begangen werden und im Namen des „freien Welthandels“ jeden Tag 30.000 Menschen an Hunger sterben. Aber weder die genannten Missstände noch deren Verursacher sind „extrem“, sondern eben diejenigen, die das anprangern. Um das Wort „Extremist“ besser zu verstehen, seien hier noch einige anschauliche Beispiele genannt: Eine Frau, die ihr Haar bedeckt, ist „Extremistin“, entblößt sie sich aber vollständig in der Öffentlichkeit, dann ist sie „freizügig“. Ein Arzt, der sich aus moralischen und ethischen Gründen gegen Abtreibungen wehrt ist ein Extremist, aber derjenige, der jährlich einige hundert Abtreibungen durchführt, ist „zivilisiert“. Jemand der ein anderes als das hiesige System bevorzugt ist mindestens ein Extremist, aber jemand der täglich eine verfassungswidrige Finanzpolitik auf Kosten der gesamten Gesellschaft realisiert, ist möglicherweise Finanzminister.
Oben beschriebener Extremismus beruht im wesentlichen darauf, dass die Islamisten i.d.R. „Fundamentalisten“ sind. Sie berufen sich auf die Fundamente ihres Glaubens, auf Gott und insbesondere auf den Heiligen Koran. Wenn ein US-Präsident sich auf die Bibel beruft, dann wagen die Wenigsten, ihn als „Fundamentalisten“ zu beschimpfen. Da wird dann lieber ein neues Wort kreiert, wie „Neokonservative“. Der Neokonservative unterscheidet sich vom Fundamentalisten insbesondere dadurch, dass er auf der Seite der Guten steht, während der Fundamentalist, da er ja ein Islamist und deshalb extrem ist, auf der Seite der oder des Bösen steht. Ein Fundamentalist ist zudem irreal, da das Gegenteil eines „Fundis“ ein „Realo“ ist.
Manche Extremisten haben allerdings auch noch die Zusatzeigenschaft, „radikal“ zu sein. Radikale Extremisten unterscheiden sich von nichtradikalen Extremisten dadurch, dass sie noch extremer bzw. radikaler sind. Ist man z.B. verbal für einen Ölboykott der westlichen Welt, so lange sie die Unterdrückung und Besatzung der Völker in Palästina und Irak aufrechterhält, dann ist man extremistisch, aber diejenigen, die im Irak die Ölpipelines in die Luft sprengen, damit die USA das irakische Öl nicht rauben kann, sind zudem radikal, wobei hier eine gewisse Überschneidung mit Terrorismus vorliegt. Denn jeder Terrorist ist radikal, während nicht jeder Radikale Terrorist ist, er kann auch nur Extremist und u.U. sogar nur Fundamentalist sein. Setzt man allerdings nicht Öl, sondern Weizen als Handelswaffe ein, wobei täglich Tausende und Abertausende sterben, dann ist das weder radikal noch extremistisch, sondern freier Welthandel von Demokratien.
Eine Steigerungsform des Radikalen ist der Fanatismus. Fanatisch ist jeder radikale, aber auch nichtradikale Extremist, der darauf besteht, fundamentalistischer Islamist zu bleiben, obwohl ihm die freiheitlich westliche Lebensweise so verlockend vor Augen geführt wird.
Obige Einteilung gilt für alle Nationalitäten, denn Muslime können sich ja hinter jeder Staatsangehörigkeit verstecken. Bei Nichtmuslimen gibt es ja logischerweise keine erwähnenswerte extremistisch-fundamentalistisch Islamisten. Ist jemand aber erwiesenermaßen terroristisch aktiv, extremistisch und fundamentalistisch zugleich und Nichtmuslim, dann gibt es Sonderregeln: Handelt es sich um einen gewöhnlichen Erdenbürger, dann gilt obige Definition, dass er irgendetwas zwischen Terrorist und Staatspräsident sein muss. Handelt es sich allerdings um einen israelischen Siedler auf besetztem Gebiet, dann gibt es die Sonderbezeichnung „ultraorthodox“, da diese Bürger per Definition nicht zu den Bösen zählen dürfen. Die Palästinenser, die sich gegen die Siedlungen wehren, gelten als Terroristen, und sterben sie dabei auch noch eines unnatürlichen Todes im Hagel verirrter Kugeln aus israelischen Waffen, dann sind sie ein „führendes Mitglied“ von irgendeiner Befreiungsorganisation, pardon, Terrororganisation, so lange sie verlieren. Da letztgenannte Bezeichnung aber nur für nichtweibliche Palästinenser über 15 Jahren gilt, kann es bei der hiesigen Betrachtung vernachlässigt werden.
Dann gibt es noch den Mudschahid. Der ist nach muslimischer Definition jemand, der Dschihad macht, was übersetzt nichts anderes heißt, als die „Anstrengung auf Gottes Weg“. Jede Mutter, die sich um Gottes Willen bemüht, ihrem Baby Milch zu geben, ist in den Augen der Muslime eine Mudschahida, die weibliche Form von Mudschahid. Aber solch eine zu allgemeine Definition ist für nichtmuslimische Bürger nicht verständlich, daher wird der Begriff auf den Gotteskrieger begrenzt, der wiederum per Definition ein Islamist sein muss. Kämpft der Gotteskrieger auf Seiten der „Freiheit und Demokratie“, ist er ein Freiheitskämpfer und sonst ein Terrorist, aber das hatten wir – glaube ich – schon. Ein „Gotteskrieger“ für das Christentum ist hingegen immer Kämpfer für „Freiheit und
Demokratie“, außer er tut es in Nordirland.
Freiheit und Demokratie sind aber wiederum der Zivilisation vorbehalten, da die Extremisten ohnehin nicht damit umgehen können, daher erfolgen die Befreiungsaktionen im Namen von Freiheit und Demokratie bei Islamisten nur dafür, um einen brutalen Diktator an die Macht zu bringen und dort zu halten. Der nennt sich dann Scheich, König oder Emir und ist der Vertreter der Zivilisationsform, mit der man Islamisten die Zivilisation nahebringen kann. In manchen schwierigen Fällen, in denen die Islamisten durch ihren extremen Fundamentalismus zu viele Fundamente im eigenen Volk haben, wird Freiheit und Demokratie auch mit Hilfe eines Militärregimes eingeführt, das dann wiederum einen Schah an die Macht bringen darf, der als Garant für Stabilität gilt, und zwar der Stabilität von Freiheit und Demokratie in westlichen Ländern.
Ein Mudschahid, aber auch der normale Fundamentalist ist streng gläubig. Jede andere Beschreibung seiner tiefen Religiosität oder intensiven Spiritualität mit einem weniger strengen Wort, liefe Gefahr eine zu positive Wirkung zu haben, die für solch einen Menschen nicht erwünscht ist.
Früher gab es noch die Bezeichnung Anarchist, aber da einige davon jetzt im Bundestag sitzen, wird es nicht weiter verwendet. Daher lassen wir sie hier unberücksichtigt.
Dieser kurze Ausflug in die Welt der Begriffe soll hilfreich sein, den Titel des Buches besser zu verstehen und in Zukunft die entsprechenden Nachrichten besser einordnen zu können. Eine ausführlichere Begriffsdefinition würde den Rahmen dieses Buches sprengen.
Fassen wir also zusammen: Ein praktizierender Muslim ist ein fundamentalistischer Islamist. Ist er nur teilpraktizierend, dann ist er nur fundamentalistisch oder nur islamistisch, und ist er gar nicht mehr praktizierend, dann ist er vollständig in die Zivilisation integriert. Ob ersterer den Zusatz „Extremist“ bekommt, ist umstritten. So bescheinigen z.B. uns sämtliche Verantwortungsträger dieses Landes, die uns persönlich kennen, dass wir keine Extremisten sind, wohingegen uns viele Journalisten, die uns nicht kennen, Extremismus vorwerfen.
Wenn man aber eine vollständige Beruf(ung)sbezeichnung für Leute wie uns finden wollte, wäre eine geeignete kombinierte Mischung aus vielen der obenan genannten Begriffen mit wechselnden Variationen angebracht; z.B.:
Streng gläubiger ranghoher fundamentalistisch-extremistischer fanatisch-radikaler islamistischer Mudschahid ohne Terrorismus (letzteres weil wir zur Rechtstreue aufrufen).
Da das allerdings viel zu lang und ein wenig unhandlich wäre, haben wir uns auf die Kurzform „fundamentalistische Islamisten“ beschränkt. Dafür fordern wir allerdings zumindest eine Art Beruf(ung)sbezeichnungsschutz
Es kann doch nicht sein, dass jeder dahergekommene Bengel, der mit seiner „Freundin“ ohne Ehe zusammen lebt und einige Böller zu Hause hat (wie im angeblichen Heidelberger Supermarkt-Fall), oder jeder glattrasierte Typ mit Goldkette, der kurz vor seinen angeblichen Terroranschlägen Diskos besucht, Nackttänzerrinnen Geld zusteckt und Alkohol konsumiert, als „Islamist“ bezeichnet wird. Es kann doch nicht sein, dass für jeden Verbrecher, der aus einem muslimischen Land stammt, aber für den nicht eine einzige der in diesem Buch beschriebenen „echten“ Merkmale zutrifft, durch schlagzeilensüchtige Journalisten mit unserer Beruf(ung)sbezeichnung missbräuchlich betitelt wird. Denn es ist – wie man durch die Lektion in diesem Buch sicherlich erkennen konnte – gar nicht so einfach und mit einer gewissen Ausbildung und unaufhörlicher Anstrengung verbunden, über einen längeren Zeitraum hinweg „fundamentalistischer Islamist“ zu sein und zu bleiben, so dass wir uns diese Berufungsbezeichnung weder von jedem dahergekommenen Möchtegernreligiösen und den zumeist noch ahnungsloseren Journalisten verwässern lassen wollen, noch von irgendwelchen Agenten und V-Leuten, die in einem Schnellkurs durch Lektüre von Karl May gelernt haben, im missbrauchten Namen Allahs Angst und Schrecken zu verbreiten.
Ausgehend von obiger Beschreibung schlagen wir vor eine neue Wortschöpfung in die deutsche Sprache mit aufzunehmen: „Muslimist“. Als Muslimist könnte jeder Muslim bezeichnet werden, der sich trotz dieser Weltlage immer noch freiwillig zum Islam bekennt und Muslim ist. Aber viel mehr als solche Schubladendenkweisen schlagen wir vor, dass wir einander mit Respekt begegnen und nicht ständig den Muslimen signalisiert wird, dass sie als praktizierende Muslime in Deutschland nichts zu suchen hätten!