Über Regeln und Übel in der Freundschaft

– Dr. M. Razavi Rad

Die Gesellschaftsforscher sehen den Menschen als ein gesellschaftliches Wesen, welches der Gesellschaft und dem Kontakt mit anderen zugeneigt ist. Der Mensch empfindet Einsamkeit, wenn er auf die Gesellschaft und den Kontakt mit anderen verzichten muss. Folgender Vers des heiligen Korans bringt genau diese Menschenwirklichkeit deutlich ans Tageslicht:

„O ihr Menschen, wahrlich Wir erschufen euch als Mann und Frau …“ [49:13]

Die ganze Wirklichkeit der Menschheit ist deshalb nicht mehr als Zuneigung, Anziehung und Solidarität, weshalb nichts Gutes in einem Menschen ist, der gegenüber anderen keine Zuneigung empfindet oder in ihnen weckt. Erbarmen, Freundschaft, Zuneigung und Liebe aber erzeugen unter den Menschen Zufriedenheit und Einvernehmen. Imam Ali (ع) sagte darüber:

„Der Wert eines Menschen ist das, was er gut kann.“ [Tuhaf al-‚Uqul, Seite 200]

Der ehrenwerte Prophet (ص) sagte:

„Der Mensch gehört dem Glauben seines Freundes an. So soll denn ein jeder von euch Acht geben, wen er sich zum Freund nimmt!“
[Mizan al-Hikma, Band 5, Seite 297]

Diese Überlieferung verdeutlicht mit allem Nachdruck und aller Deutlichkeit den Wirkungsrahmen und die Rolle der Freundschaft im Leben des Menschen. Wenn die Menschen also die Persönlichkeit deines Freundes kennen, dann kennen sie auch deine Persönlichkeit. Und wenn sie deine Persönlichkeit kennen, dann kennen sie auch die deines Freundes. Wir können hier ohne Übertreibung soweit gehen zu sagen, dass der aufrichtige Freund ein zwingender Faktor der Rechtleitung und der elende Freund ein zwingender Faktor des Elends und Verlorengehens ist. Denn wie viele Katastrophen und wie viel Leid sind nicht schon durch schlechte Freundschaften entstanden? Und wie viele Menschen entwickelten sich doch noch zu Rechtschaffenen und fanden aus dem einfachen Grunde ihre Erlösung, weil sie sich gute Freunde nahmen? Darum warnt der heilige Koran, indem er sagt:

„Die Freunde werden an jenem Tage einander Feind sein, außer der Frommen.“ [43:67]

Folglich ist die Wahl eines Freundes in Wirklichkeit die Wahl des in der Zukunft liegenden Geschickes. Der Umgang mit den anderen Menschen ist eine der höchsten Künste, die es gibt. Und viele Menschen beherrschen diese Kunst leider nicht gut oder nicht gut genug. Aus diesem Grund müssen hier die Regeln und Etiketten der Freundschaft erlernt und beachtet werden:

Zu diesen gehört zum Beispiel, dass man sich gegenüber seinem Freund nicht egoistisch verhält und ständig versucht, seine Freunde für seinen eigenen Vorteil auszunutzen.

Zu diesen gehört auch, dass man mit seinen Freunden aufopfernd umgeht, d.h. dass man ihren Vorteil vor den eigenen stellt, wenn man merkt oder spürt, dass derjenige diesen Vorteil nötig hat.

Weiterhin zählt dazu, dass der Mensch in seiner Freundschaft und seiner Beziehung aufrichtig bleibt und sich nicht lügnerisch und schmeichlerisch verhält. Imam as-Sadiq (ع) sagte:

„Der echte Freund ist jemand, der dir die Wahrheit sagt, und nicht jemand, der dir in allem zustimmt.“ [Mizan al-Hikma, Hadit 7405]

Außerdem muss man die Geheimnisse des Freundes bewahren und das, was er einem an Gegenständen bzw. materiellen und geistigen Gütern anvertraut, darf man nicht veruntreuen. Der Prophet Muhammad (ص) sagte:

„Wer die Geheimnisse seines gottergebenen Bruders in dieser Welt geheim hält und ihn nicht bloßstellt, dessen Geheimnisse wird auch Gott am Tage der Auferstehung geheim halten.“

Dazu gehört auch, dass man seinem Freund mit freundlicher und fröhlicher Mine begegnet, selbst dann, wenn man im Inneren seines Herzen traurig oder betrübt ist. Imam Muhammad al-Baqir (ع) sagte:

„Eine heitere Mine erzeugt Zuneigung und ist ein Ausdruck von Nähe zu Gott. Eine finstere Mine und ein düsterer Blick dagegen erzeugen Abneigung und sind Ausdruck der Ferne von Gott.“

Dazu gehört auch, dass man im Umgang und im Gespräch mit seinen Freunden gütige und freundliche Worte wählt. Denn auch die Wahl der Worte hat einen großen Einfluss auf die Reaktionen und Gefühle der Menschen. Gute und gewählte Worte öffnen neue Horizonte in der Psyche des Freundes und lassen den Wert und die Würde seiner Person spürbar werden.

Darüber hinaus sollte man auf regelmäßigen und engen Kontakt achten. Der Besuch etwa lässt deinen Freund spüren, dass er dir wichtig ist und dass du dich um ihn sorgst. Es zeigt ihm, dass er einen festen Platz in deinem Gewissen und deinen Empfindungen hat. Mit anderen Worten verdeutlicht dieses Verhalten die Vertrauenswürdigkeit des Freundes. Der Prophet Muhammad (ص) sagte:

„Der Besuch sät Zuneigung.“

Dazu gehört auch, dass man seinem Freund treu bleibt. Ein echter Freund ist und bleibt seinem Freund treu. Er verlässt ihn nicht in schweren Momenten der Not und vergisst ihn nicht, wenn er selbst in eine höhere Gesellschaftsposition gelangt.

Man sollte seinen Freund auch auf seine Irrtümer und die Mängel aufmerksam machen, die ihm oder anderen schaden könnten. Fehler machen ist eine mehr oder weniger natürliche Sache und liegt in der Natur des Menschen. Man muss den Freund mit Milde und Liebe auf seine Fehler aufmerksam machen, gleichzeitig jedoch muss man aber auch die Fehler seiner Freunde erdulden können, denn wer nicht bereit oder in der Lage ist, die Fehler anderer zu vergeben und zu ertragen, der kann auch nicht mit anderen auskommen.

Gott, Der Erhabene, spricht dazu:

„Und die ihren Zorn beherrschen und den Menschen verzeihen – und Gott liebt die Wohltätigen.“ [3:134]

Zu guter Letzt möchten wir einen Ausspruch des ehrenwerten Propheten (ص) anführen, in welchem er uns deutlich macht, was der Unterschied zwischen guten und schlechten Freunden ist:

„Ein rechtschaffener Genosse und ein schlechter Genosse sind vergleichbar einem Moschusträger und einem, der den Blasebalg betätigt. Was den Träger des Moschusduftes angeht, so folgt entweder er dir, oder du kaufst etwas von ihm, oder aber du verspürst seinen wohlriechenden Duft. Der Betreiber des Blasebalgs aber verkohlt dir entweder die Kleidung, oder aber er lässt dich einen üblen Geruch verspüren.“

[As-Suyuti, al-jami‘ as-Sagir, B. 2, S. 456, H. 8120]

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Quelle: Institut für Islamische Bildung

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