Interview mit Schwester Selma

Al-Shia:  Salam alaikum liebe Schwester. Erstmal möchte ich mich dafür bedanken, dass du dir die Zeit für dieses kurze Interview nimmst. Vielleicht könntest du dich kurz vorstellen:

Wa alaikum salam. Nun ich heiße Selma, 29 Jahre alt, arbeite als Bürokraft. Meine Eltern stammen aus der Türkei. Das sage ich so, weil ich mich persönlich eher immer schon als eine Deutsche gefühlt habe, da ich hier geboren und aufgewachsen bin.

Al-Shia: Aus einer muslimischen Familie zukommen, bedeutet ja nicht zwangsläufig selber praktizierend zu sein. In welchem Alter hast du dich dafür entschieden, den Islam zu praktizieren und warum?

Das sehe ich genau so. Obwohl ich selber immer an einem Schöpfer glaubte, hatte ich bis zu meinem 17. Lebensjahr eher eine negative Einstellung bezüglich des Islams. Leider wurde vieles nach der Tradition gelebt, was sehr wenig eigentlich mit dem Islam zu tun hatte. Vor allem die Stellung der Frau wollte ich, wie ich sie so gehört habe nicht akzeptieren. Wenn ich heute so darüber nachdenke, bin ich sehr traurig darüber, dass Menschen aus Unwissen so viele Lügen über den Islam weitergeleitet haben.

Komme ich wieder mal zurück zum Thema, wie ich dem Islam näher kam. Also mit 18 hat meine ältere Schwester geheiratet und sie wollte kurze Zeit später freiwillig (Betonung liegt auf freiwillig) ein Kopftuch tragen. Sie war und ist es immer noch 🙂 eine sehr hübsche Frau. Das hat mich damals sehr beeindruckt, dass eine solch hübsche Frau freiwillig sich verschleiern wollte. Daraufhin wollte ich herausfinden, was sie dazu bewegt hatte, denn sie war eine sehr moderne! Frau und von ihr behauptete meine Mutter immer, dass sie nie ein Kopftuch tragen würde. Sie sagte mir, dass sie den Islam leben will und den Gesetzen Allahu taalas folgen möchte. Das brachte mich zum nachdenken. Ich ging mit meinem Vater zu eine Moschee um mir einige Bücher über den Islam zu holen. Ich entschied mich für die Sira des Propheten (saas).

Nun das Buch war eine Überraschung für mich, das meinen ganzen Leben ändern sollte. Ich kannte diese Person, also den Propheten (saas) gar nicht. Ich hatte nur einige Vorurteile, die ich mal so gehört hatte über ihn. Mit diesem Buch sah ich zum ersten Mal, dass der Islam nicht das ist, was ich immer so gehört und in einigen Familien gesehen hatte.

Bei uns in der Familie war es so, dass unsere Eltern uns nie zu etwas gezwungen haben, sprich ein Kopftuch tragen oder die anderen religiösen Pflichten, wobei ich erwähnen muss, dass außer meiner Mutter keiner praktizierender Muslim/Muslima war. Die Veränderungen im Leben kamen aber nicht sofort, denn ich musste vieles an mir ändern und das ging eben langsam, weil ich auch mit mir und meiner Umgebung klar kommen musste. Ich fing erst dann außerhalb der Schule  ein Kopftuch zu tragen. Bis heute bereue ich es, dass ich nicht den Mut hatte zur Schule mit Kopftuch zu gehen.

Nun als auch einige meiner Freunde davon erfahren haben, dass ich außerhalb der Schule Kopftuch trage, haben einige hinter mir gesagt, ob ich noch ganz bei Sinnen wäre, denn ich, die Selma, die so selbstbewusst ist, tut so was. Na ja ich musste mir auch noch einiges anhören, z.B., als ich anfing 1997 zu studieren, hörte ich, dass einige über mich sagten, dass ich in eine Sekte geraten wäre und wohl verrückt geworden bin, und so was hört man von vielen Türken, die sich auch als Muslime bezeichnen.

Egal ich war sehr wissensdurstig und hatte Nachholbedarf, weil ich sehr viel Zeit verloren hatte, um meinen Schöpfer kennen zu lernen und ihm gerecht zu werden. Tja andere Probleme im Leben halten dich auch ab zu mal auf, um weiter zu kommen, aber mit jeder Niederlage im Leben kam ich meinem Schöpfer näher.

Ich merke, dass  der Islam ein sehr  breites Gebiet umfasst, dass nie ganz erforscht werden kann. Wie unser geliebter Prophet (saas) sagte „Erlerne Wissen von der Wiege bis zum Grab“.

Al-Shia: Wie siehst du aus deinen Augen, die Rolle der Frau im Islam. Denkst du, dass sie oft richtig dargestellt wird? Wird die Frau in deinem Bekannten- und Familienkreis entsprechend nach dem Islam behandelt? Wo siehst du Problematiken?

Oh oh da habt ihr ja ein heikles Thema ausgesucht :-). Nun gut ich werde mal versuchen meine Ansicht zu erklären. Ich denke nicht, dass die Frau ihre Wertstellung in der Gesellschaft hier auch in den meisten muslimischen Ländern hat, die ihr der Islam zuspricht. Wie gesagt, wird noch vieles nach der Traditionen in den Familien praktiziert, wobei ich sagen muss, dass die Zahl der Muslime, die den Islam wirklich erforschen und sich von Tradition lösen immer mehr werden, so dass auch Frauen mehr Respekt gezollt wird.

Ja gut, nur weil ich eine Frau bin sage ich es nicht, aber es ist nun mal Fakt, dass Frauen immer in jeder Religion und Gesellschaft für ihre Rechte kämpfen und viele Ungerechtigkeiten einstecken mußten.

Ich habe mal eine wundervolle Aussage von dem verehrten Imam Khomeini (ra) gehört:
„Die Frau ist es, welche die menschlichen Hoffnungen wahr werden lässt. Keine Aufgabe ist so edel wie die der Mutter. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist von höherer Bedeutung als die des Mannes. Darum, weil die Frauen ganz abgesehen davon, dass sie selbst eine sehr aktive und konstruktive Bevölkerungsgruppe darstellen, weitere aktive und konstruktive Gruppen in ihrer Obhut großziehen und heranbilden. Die Frau ist die Lehrerin der Menschheit.“

Da brauche ich wohl nichts weiter zu sagen. Das ist der Islam in meinen Augen. Ich finde viele Männer sehen die Rolle der Frau nicht so hoch an, denn ich muss immer wieder von vielen hören, was denn eine Frau so Großartiges denn leistet im Vergleich zum Mann, der ja soviel Pflichten zu erfüllen hat.

Nein ich mag es nicht immer in Polemik zu verfallen, wenn es um die Geschlechterrollen geht, aber ich denke, dass auch muslimische Männer einsehen müssen, dass Frauen auch emens vieles Leisten.

Ich könnte ein Roman über dieses Thema schreiben J, sollte lieber aber nicht weiter gehen. Ob die Frau richtig dargestellt wird, kann ich leider nur nein sagen, da ich deshalb auch früher eher eine Abneigung hatte gegenüber dem Islam und heute hat sich daran leider wenig verändert. Ich rege mich nur auf, dass die Medien auf unverschämter Weise für alle Probleme, z.B. Eheprobleme den Islam dafür verantwortlich machen, obwohl es gar nicht so ist, denn ich hatte mal so im Radio gehört, wo ich mich ziemlich aufgeregt habe, also es ging darum wie viele Frauen so in der Ehe geschlagen und misshandelt werden, da sprach man (an die genauere Zahl erinnere ich mich nicht aber), ungefähr 40 % der russischen Frauen werden von ihren Ehemännern/ Partnern misshandelt, 40 % der deutschen Frauen werden von ihren Ehemännern/ Partnern misshandelt und 40% der türkische Frauen werden von ihren  muslimischen Ehemännern/ Partnern misshandelt.

Da fragte ich mich, was es bei den anderen wohl war, ob es auch christliche bzw. jüdische Russen oder Deutschen ging. Ich möchte damit sagen, dass viele Medien gewillt ein falsches Bild vom Islam geben, denn sonst kann ich mir solch einen Unsinn nicht erklären.

Es gibt natürlich auch in muslimischen Kreisen Probleme, aber ich mag es gar nicht, dass man, wenn etwas in einer Familie schief läuft dem Islam zuzuschreiben. Es scheint mir als muslimische Frau fast unmöglich zu sein immer wieder zu betonen, dass ich als Muslima nicht zu etwas gezwungen oder misshandelt werde. Dass ich kein armes Ding in deren Augen bin, sondern eine Frau, der auch so viele Rechte, die nicht mal in einem so modernen Staat zugesprochen ist nach dem Islam habe.

Auf der anderen Seite aber habe ich auch mit einigen muslimischen Männern, die eher traditionell gesinnt sind  Auseinandersetzungen bezüglich der Rechte der Frauen im Islam, weil sie natürlich gewöhnt sind als Mann die Priorität zu haben. Ich werde oftmals dann sofort als Feministin bezeichnet, was mir eigentlich gar nicht gefällt.

Al-Shia: Was bedeutet für dich das Kopftuch und die islamische Kleidung? Hast du auch schon Probleme damit gehabt?

Nächstes heikles Thema, was ich echt langsam nicht mehr hören kann :-). Ich verstehe es wirklich nicht, wie man aus einem so kleinem Stück Stoff so viele Probleme machen kann. Ich sage nur klipp und klar, dass ich mein Kopftuch nur aber auch nur für meinen Schöpfer trage, weil es eine religiöse Pflicht für mich als Frau ist. Ob ich nun eins trage oder nicht ist eine ganz andere Sache.

Ich wehre mich auch dagegen immer zu hören, dass ich dazu gezwungen werde. Mein Gott ist es so schwer zu verstehen, dass eine Frau FREIWILLIG Kopftuch tragen möchte. Fragt man eine Nonne auch, ob sie dazu gezwungen wird, wohl kaum.

Bin weder verheiratet noch mein Vater bzw. meine Brüder zwingen mich dazu, ich habe es selbst entschieden. Punkt aus.

Oh je ich merke mein Blutdruck steigt :-). Nun nach soviel Palaver kann ich es nicht mehr hören. Ich möchte nur, dass man mich nur mit einem Quadratmeter großen Tuch auch akzeptiert.

Andererseits denke ich auch, dass heutzutage durch diese unnötigen Auseinandersetzung in den Medien und Politik mit dem Kopftuch, als Frau nun mehr Probleme habe z.B. einen Job zu finden. Was ich alles so höre, sage ich nur, ob Deutschland bis heute keine Frau mit Kopftuch gesehen hat, dass man sich so nun bedroht fühlt.

Probleme, hm also da ich eine selbstbewusste Person bin, kann ich nicht sagen, dass ich Probleme hatte, aber natürlich musste ich viele Beleidigungen einstecken. Aber unser Prophet (saas) ist unser bestes Vorbild.

Al-Shia: Als Mitarbeiterin bei einem großen Islamischen Verbandes arbeitest du in der Frauenabteilung. Würdest du vielleicht kurz deine Arbeit vorstellen. Was sind die meisten Problematiken?

Also meine Arbeit macht mir wirklich Spaß. Bei uns ist es eher die Verwaltung und Koordinierung von unseren Regionalverbänden, wo die Aktivitäten angeboten werden.

Unsere Frauenabteilung fördert mit einer Fülle von Aktivitäten die Teilnahme von muslimischen Frauen und Mädchen am sozialen Leben, insbesondere die Nutzung von Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten.

Darüber hinaus ist es für uns sehr wichtig, dass Sprachkenntnissen und das Ermutigen zur Übernahme von Ämtern in der Gemeinde gefördert werden.

Natürlich legt unser Frauenverband Wert auf eine fundierte religiöse Bildung, da nur mit einem fundierten Wissen ein bewusstes religiöses Leben möglich ist. Deshalb werden Seminare und Schulungen für Mädchen und Frauen in den verschiedenen Regionalverbänden angeboten. Aber auch zu Themen wie Ehe, Kindererziehung und Gesundheit gibt es spezielle Seminare und Programme.

Nun zu den Problemen kann ich sagen, dass viele Frauen und junge Mädchen heutzutage wegen ihrem Kopftuch ernsthafte Probleme  haben, z.B. auf der  Jobsuche, in den Schulen oder auch die Übergriffe auf Frauen/ Mädchen mit Kopftuch sind rapide angestiegen.  Auch Probleme in den Ehen kommen häufig vor, weil meistens die Männer nicht religiös gesehen weitgebildet sind. Alkohol, Fremdgehen oder Vernachlässigung der Familie sind die Hauptprobleme.

Al-Shia: Was denkst du, warum wird die Frau im Islam von den meisten Medien in Deutschland falsch dargestellt? Was tust du selber für eine bessere Aufklärung? Was kann jede Frau im Einzelnen tun?

Wenn ich das nur verstehen würde, wieso man vernarrt ist den Islam so schlecht darzustellen. Oder eben für alles was bei den Muslimen schief läuft den Islam dafür schuldig zu halten. Viele die namentlich Muslime sind, haben wirklich kaum Wissen über den Islam, das kann ich von meiner eigenen Familie/ Bekannten und Umgebung sagen.

Was ich persönlich tue, nun ich versuche wirklich in der Öffentlichkeit, also in dieser Gesellschaft aktiv auch mit zu wirken. Ich bin z.B. in einem Frauenstudio angemeldet, wo ich die einzige war mit Kopftuch. Am Anfang waren viele erst mal verwundert, dass eine Frau mit Kopftuch auch so sportlich sein kann. Ich komme aus einem kleinem Dorf aus NRW und das ist schon eine Seltenheit. Ich fand es lustig, als man mir dann später sagte, dass man mich am Anfang für die Putzfrau gehalten hatte.

Ich pflege viel Kontakt zu meinen deutschen Freunden, denn sie sagten mir auch, dass sie kaum Wissen hatten über den Islam außer die aus den Medien, was ja nicht gerade positiv ist. Ich habe dadurch viele Vorurteile abbauen können Gott sei Dank. Ich denke wir Frauen müssen mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, weil wir, ob man es will oder nicht auch ein Teil dieser Gesellschaft ist.

Es gibt viele Frauenorganisationen, ob es jetzt islamisch ist oder nicht spielt keine Rolle. Dort kann man auch tätig sein. Ich finde es schade, dass in keiner Partei in Deutschland eine Frau mit Kopftuch tätig ist, ich kenne zumindest keine.  

Al-Shia: Nach welchen Kriterien würdest du einen Mann aussuchen. Und auf welchem Wege suchst du und vielleicht generell in deinem Bekanntenkreis , Frauen ihre Männer aus?

Oh oh :-), da werde ich wohl, wenn ich alles aufzähle keinen Mann mehr abkriegen :-). Nein Spaß bei Seite. Nun ich möchte natürlich einen Mann der mich als Frau respektiert und achtet. Er muss wissen, dass ich ein Individuum bin und auch eben meine Wünsche habe. Eine Partnerschaft kann nicht nur  auf Nehmen basieren, sondern auch geben. Das sage ich so, da ich auch einige gesehen habe, die da sehr traditionell leben, wo eher den Frauen vieles aufgezwungen oder abverlangt wird.

Natürlich müssen wir auch in religiöser Hinsicht zusammenpassen. Ich habe viele Ehen gesehen, wo es ein großes Problem darstellte, dass ein Teil der Partner nicht gerade praktizierend war.

Ich möchte z.B. gern meine Kinder islamisch erziehen und wenn der Partner nicht gerade solch einer ist, kommen sehr viele Probleme auf einem zu. In meinem Umfeld sah ich bei vielen Frauen, dass sie von ihren Ehemännern dazu gezwungen wurden das Kopftuch abzulegen oder gar damit anzufangen. Ja so was gibt es auch, da es aber nicht medienwirksam ist, kommen solche Geschichten gar nicht zum Vorschein.

Ich wünsche mir einem Mann, der wirklich den Propheten als Vorbild nimmt und den Islam nicht nur mit Worten, sondern mit Taten lebt, denn die, die es nur mit Worten leben, gibt es zu viele leider.

Auch die Kultur darf nicht sehr unterschiedlich sein. Alleine bei den türkischen Ortschaften gibt es solche unterschiedliche Traditionen, dass man schon eher einen aus dem selben Ortsteil heiraten möchte. Für mich ist es nicht wichtig aus welchem Land mein Zukünftiger (wenn überhaupt 🙂 ) kommt, aber für meine Familie wäre es schon eine Herausforderung, weil sie eben so was nicht gewöhnt sind.

Nun zu der Suche :-), ich persönlich habe schon aufgegeben den Richtigen zu finden oder besser gesagt nicht mehr die Verkupplungsaktionen meiner Freunde/ Bekannten anzunehmen, denn zur Zeit habe ich andere Probleme, die mir viel wichtiger scheinen. Ich denke, dass ich nicht unbedingt verheiratet sein müsste, um glücklich zu sein. Ja ich weiß, man sollte schon eine eigene Familie gründen, weil wie sagt man schön, wenn man älter wird, wird man dann alleine sein. Noch habe ich ja Zeit :-).

Bei uns Türken ist es üblich, dass man verkuppelt wird, d.h. nicht, dass man zu einer Ehe gezwungen wird, so was habe ich in meinem Umfeld und Familie wirklich nicht gesehen und ich empfinde das nicht realistisch, was so in den Medien dargestellt wird. Wenn ich von Zwangsheirat höre, erstaunt es mich sehr, da ich bei mir sagen kann, dass eher das Gegenteil existiert. Mein Vater strebt sich dagegen, wenn mal einer seiner Töchter heiraten möchte, tja solche Beispiele gibt es auch genug, aber wie gesagt nicht medienwirksam.

Außerdem denken viele, da es eben in ihrer Kultur nicht so was ähnliches gibt, sofort schlecht über solche Aktionen, aber es ist schon gut, wenn man Freunde/Bekannte hat, die mich und meine Wünsche kennen eben jemanden vorschlagen können, damit man sich auch kennen lernen kann.

Al-Shia: Vielen Dank für das Interview. Wa salam alaikum

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